Die vergangenen Jahrzehnte waren, zumindest aus westlicher Sicht, eine Ausnahmeerscheinung in der Geschichte. So lange Perioden von Wohlstand und Frieden hat es in den Jahrhunderten zuvor selten gegeben. Der Siegeszug des Kapitalismus wurde sogar als das Ende der Geschichte ausgerufen, führte aber Schritt zu Schritt fort von einer Ära der Rationalität.

Heute besteht der Status quo aus einer „Gesellschaft von Singularitäten“, wie Andreas Reckwitz es in seinem treffenden soziologischen Bestseller formuliert. Die gefühlte Wahrheit ist vorherrschend, so stark, dass sich die Realität dieser anpassen muss. Inhalte, die nicht mit dem eigenen Weltbild übereinstimmen, werden ausgeblendet; konforme Ansichten hingegen werden verstärkt verbreitet. Es entstehen Echokammern ohne Schnittmengen. Noch nie in der Geschichte konnten sich Nachbarn so fremd sein wie heute.

Aber wir gehen weiter, Wachstum ist der neue Stillstand. Der Individualismus von heute wird zum Narzissmus von morgen. Auch dies treibt der Kapitalismus voran und es wäre wünschenswert, wenn die Geschichte tatsächlich zu Ende gegangen wäre, aber sie ist es nicht.

Im Kontext der neuen Krisen des 21. Jahrhunderts und einer multipolaren Weltordnung wird die Prämisse dieser Gesellschaft, in der kaum noch jemand lebt, der nicht in diesem System aufgewachsen ist, ad absurdum geführt. Dieser Status quo ist brandgefährlich. Ein Sprichwort sagt, wenn jeder auf sich selbst achtet, ist an alle gedacht; doch es ist offensichtlich, dass hier etwas nicht stimmt.

Die Medien von heute verstärken diese Entwicklung noch. Viele von uns widmen dem Bildschirm mehr Aufmerksamkeit als den engsten Mitmenschen. Die eigens kuratierte Bubble ist bequemer als jeder Impuls von außen.

Kann der Kapitalismus das wirklich wollen? Hier führt er sich doch selbst ins Leere. Wo bleiben Fortschritt, Entwicklung, Mehrwert, klammert man jenen aus, den die fünf großen Tech-Giganten einfahren?

Es scheint utopisch, doch wir als Gesellschaft, wir alle – ja, auch du und Sie! – sollten sich dem Gewahr werden, in der beschleunigten Welt von Heute die Zeit nehmen, nachdenken, dem dumpfen Gefühl im Magen endlich nachgeben; Das kann doch nicht der Inhalt sein, dem wir diesen 70-80 Jahren, die uns in dieser Welt gegeben sind, widmen wollen?

Was wir brauchen ist ein Innehalten, abwägen, reifliches Nachdenken und Schlussendlich: Eine Rückkehr zur Rationalität. Und da der Weg zurück uns nicht zur Verfügung steht: Ein Vorwärts zu einer Ära der Rationalität! Einer anderen, besseren Rationalität, die mit Künstlicher Intelligenz und Akzeleration arbeitet, den Krisen des Jetzt entgegentritt, das Gestern endlich abschließt und uns alle – nicht nur uns Menschen im Westen – in ein besseres Morgen führt.

About the Author: Patrick Arnold

Patrick Arnold ist Komponist, Sounddesigner und visual artist. In seiner Arbeit finden sich stets klare und zumeist minimalistische Konzepte. Ob Musiker, Designer, Künstler oder Entwickler, die Inspiration durch Extreme ist der Kern, auf dem seine Arbeit beruht. Patrick Arnold realisiert Auftragsproduktionen im Rahmen seiner Partnerschaft mit Philipp Reimann als KlangKönner und audiovisuell im Rahmen von Film:Kultur. Für ihre Arbeit wurden sie mehrfach national und international ausgezeichnet, zuletzt mit einer Nominierung für den deutschen Grimme-Preis.

Leave A Comment