In Zeiten, in denen sich die gesellschaftlichen Gräben weiter vertiefen und ein striktes Entweder-oder das Denken beherrscht, ist Hegels Philosophie des Sowohl-als-auch so aktuell wie nie zuvor.

„Alle Dinge“, schreibt Georg Wilhelm Friedrich Hegel, „sind an sich selbst widersprechend.“ Bis heute gilt dieser Satz unter Philosophen als Zumutung, wenn nicht als Skandal. Doch nicht die Verherrlichung des logischen Widerspruchs ist Hegels Ziel, sondern vielmehr dessen Überwindung in einem dynamischen Prozess.

Polarisierung, Extremismus und ein grundlegendes Unverständnis gegenüber Personen, die eine abweichende Meinung vertreten, kennzeichnen den gesellschaftlichen Diskurs, der uns ins Jahr 2024 führt. Aus Bürgern, die ihrer Unzufriedenheit Ausdruck verleihen, werden Außenseiter, aus Außenseitern Extremisten, und all diese Gruppen finden sich heute auf den Straßen wieder, um gegen Beschränkungen zu protestieren, die sie als Angriff auf ihre Freiheit wahrnehmen.

Die Gesellschaft vergisst dabei oft, dass ihre Grundlagen genau jene Freiheitsbeschränkungen vorsehen, die dort einsetzen, wo die Freiheit des anderen beginnt, und dass der Begriff der Freiheit selbst einer ständigen Evolution unterliegt. Für eine solche nuancierte Betrachtung findet sich selten Raum – oder Zeit. In einem Zeitalter, in dem wir täglich mit einem Übermaß an Informationen bombardiert werden, denen wir jeweils nur wenige Sekunden unserer Aufmerksamkeit widmen, scheint dies noch weniger möglich. Untersuchungen haben schon 2023 aufgezeigt, dass unsere Aufmerksamkeitsspanne noch unter der eines Goldfischs liegt.

Für ein ‚Sowohl-als-auch‘ ist in dieser schnellen, digitalen Welt kaum Platz; es ist zu komplex, zu vielschichtig und, tragischerweise: zu analog.

Bereits während meiner Masterarbeit stieß ich auf diese binäre Rasterung unseres gesellschaftlichen Diskurses in schwarz oder weiß, ja oder nein, 0 oder 1. Hegel begegnete mir damals als eine Quelle der Erkenntnis, doch mangelte es an Zeit, dies weiter zu vertiefen. Vor kurzem tauchte ich erneut in dieses Thema ein, angeleitet durch Dr. Sebastian Ostritschs fesselnde Darstellung. Sein Buch hat mir die Furcht vor Hegels Werk genommen; die ‚Phänomenologie des Geistes‘ wartet bereits auf meiner Leseliste.